30. 10. 1999


"Wir müssen den Menschen helfen"
Griechenlands Außenminister spricht für humanitäre Hilfe an Serbien





Athen fällt bei der Erweiterung der EU wie auch in der europäischen Balkanpolitik eine Schlüsselrolle zu. Zur Vorbereitung der großen Konferenz der EU-Staaten in Helsinki traf der griechische Außenminister Georgios Papandreou in Berlin unter anderem Bundesaußenminister Fischer. Mit Papandreou sprach Hildegard Stausberg.

DIE WELT: Was erwartet Athen von der EU-Konferenz in Helsinki?

Georgios Papandreou: Wir wünschen uns, dass es endlich zu einer genauen Präzisierung der verschiedenen Gruppen und Typen der Beitrittskandidaten kommen wird - vor allem in Bezug auf die Länder des Balkans. Griechenland ist grundsätzlich für eine Erweiterung um die Staaten Südosteuropas, das ist wichtig für die Stabilität des ganzen Kontinents. Allerdings müssen in Helsinki ganz klar die Bedingungen dafür auf den Tisch: Es muss konkret festgelegt werden, welche Konditionen Beitrittskandidaten zu erfüllen haben - und zwar sowohl, was die internen demokratischen Reformen anbelangt, als auch den Minderheitenschutz.

DIE WELT: Reichen die bisherigen Integrationskriterien aus?

Papandreou: Nein. Die so genannten Copenhague-Criteria wurden für die Integration der mitteleuropäischen Staaten entworfen. Da die Probleme auf dem Balkan schwieriger sind, müssen andere Maßstäbe gelten. Hier geht es nicht mehr nur um demokratische Reformen und um Menschenrechte, sondern auch um zwischenstaatliche Beziehungen, die Regelungen des friedlichen Nebeneindanders von Ländern, das Respektieren der Grenzen und von internationalen Gesetzen, der Resolutionen der Vereinten Nationen, des Internationalen Gerichtshof im Haag.

DIE WELT: Wie stehen Sie zu einem EU-Beitritt der Türkei?

Papandreou: Für uns ist das keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann und Wie: Wir haben ein starkes Interesse an einer Integration der Türkei. In Helsinki muss die EU dafür aber einen ganz klaren Rahmen stecken. Sonst vertun wir unsere Chancen und wecken vor allem falsche Hoffnungen in der Türkei. Es hat übrigens einen dramatischen psychologischen Wandel in Griechenland und der Türkei gegeben: Die Erdbeben provozierten eine nie gekannte Solidaritätswelle. Auf der Ebene der Außenminister hatte davor schon ein Dialog begonnen über unsere Gemeinsamkeiten auf den Gebieten Kultur, Handel, Tourismus, Umwelt, Sicherheit und Möglichkeiten der multilateralen Zusammenarbeit auf dem Balkan und im Schwarzen Meer. Natürlich bestehen weiterhin große Probleme, Zypern etwa und ungeklärte Territorialfragen in der Ägäis.

DIE WELT: Soll die EU Serbien humanitäre Hilfe leisten?

Papandreou: Ja absolut: Humanitäre Hilfe hat nichts mit Ideologie zu tun. Auf humanitärer Ebene müssen wir Serbien geben, was es braucht. Die EU-Kommission und internationale Organisationen müssen überwachen, dass die Hilfe auch die Menschen erreicht. Griechenland und die Niederlande haben dazu schon vor Monaten ein Projekt vorgestellt: "Energy for Democracy". Damit wollen wir vor allem die Gemeinden unterstützen, in denen die demokratische Opposition sich durchgesetzt hat. Vergessen wir nicht: Es gibt einen starken Wunsch im serbischen Volk nach Veränderung - auch danach, Teil der europäischen Völkerfamilie zu werden. Aber die politische Opposition war bisher zu zersplittert und zu schwach, um Reformen durchzusetzen.

DIE WELT: Wie hat der Kosovo-Krieg die Lage verändert?

Papandreou: Durch den Krieg sind die Dinge auf keinen Fall einfacher geworden. Man ist von einem multiethnischen Zusammenleben vielleicht sogar weiter entfernt als vorher. Schon deshalb sollten wir durch humanitäre Hilfe ein Zeichen setzen, wofür wir stehen. Hilfe beim Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes ist eine ganz andere Sache. Dafür müssten in Jugoslawien erst einmal ein paar wichtige politische Bedingungen erfüllt werden. Sollten wir uns also am Wiederaufbau beteiligen, müsste das eingebunden werden in den politischen Reformprozess des Landes. Im Übrigen soll der Stabilitätspakt die ganze Region vorbereiten auf die Integration in Europa.

DIE WELT: Befürchten Sie das Entstehen eines Großalbaniens?

Papandreou: Der Zusammenschluss aller albanisch sprechenden Menschen war vielleicht Anfang des Jahrhunderts ein legitimes Ziel. Heute würde die Schaffung von Staaten nach ethnischen Gesichtspunkten Chaos provozieren - weltweit, vor allem aber auf dem Balkan. Der Respekt vor einmal geschaffenen Grenzen ist unverzichtbarer Bestandteil einer gedeihlichen Weiterentwicklung Europas, alles andere ist Träumerei.
 

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